INTERVIEWS
Gespräche mit Dir

XANTHIPPE e.V. – welche Frauen/Künstlerinnen haben sich zu dieser Fraueninitiative zusammengefunden und warum wurden sie Mitglieder? Beweggründe und die Motivation zur künstlerischen Arbeit, gegen Widerstände oder besseres Wissen über die Position gerade der Künstlerin in unserer Gesellschaft, diesen Fragen nähert sich unsere Kollegin, die Autorin SANDRA ROSAS, in ihren doch sehr persönlichen Interviews. Es werden nur einige wenige XANTHIPPEN angesprochen werden, doch einen Einblick in die Arbeits- und Gedankenwelt dieser Künstlerinnen werden Sie beim Lesen sicher bekommen.

SANDRA ROSAS

KIM DOTTY HACHMANN

SANDRA ROSAS
geb. 1977 in Mexiko
Studium Lateinamerikanische Literatur an der Universidad Autónoma del Estado de México
Master im Fach Interdisziplinäre Lateinamerikastudien an der Freien Universität Berlin.
Seit 2004 lebt und arbeitet sie in Berlin.
2019 veröffentlichte sie ihren ersten zweisprachigen Gedichtband „Pupilas ciegas / Blinde Pupillen“ (KLAK Verlag).
2021 erhielt sie ein Stipendium im Künstlerdorf Schöppingen, Münster.
Derzeit ist sie Doktorandin an der Ruprechts- Karls- Universität Heidelberg und ist Stipendiatin des Berliner Senats in der Kategorie Nicht- deutschsprachige Literatur

KIM DOTTY HACHMANN
geboren 1974 in Hamburg, lebt und arbeitet in Berlin. 1996–2004 Studium Visuelle Kommunikation und freie Kunst mit Schwerpunkt Neue Medien, Kunsthochschule Kassel (KhK) bei Bjørn Melhus, Rolf Lobeck, Nicolaus Ott, Bernard Stein; Abschluß mit Auszeichnung, Meisterschülerin der Professoren Ott und Stein. 2002 KhK Hochschulpreis, weitere Auszeichnungen folgten. Seit 2001 Teilnahme an internationalen Ausstellungen und Medienkunstfestivals sowie weltweite Stipendien und Artist-in-Residence-Programme.

Ich befürchte, ich komme ein paar Minuten zu spät. Als Mexikanerin läuft man Gefahr, die rote Karte der Unpünktlichkeit zu bekommen. Ich melde mich bei Kim aus der U-Bahn und ich teile ihr meine Befürchtung mit. Sie dagegen freut sich, dass sie ein paar Minuten extra hat. Leider komme ich rechtzeitig, und ich ertappe sie beim Aufräumen. Ich bekomme als Empfang ein breites Lächeln und fühle mich erleichtert. Wir unterhalten uns über den Bezirk – bevor wir uns in ein persönlicheres Gespräch vertiefen. Während Kim uns einen Kaffee kocht, halte ich Ausschau nach persönlichen Details (sie sind für mich immer hilfreich) und finde sie auf einem Foto, das ich schon gesehen habe. Auf dem Foto sieht man sie im Spagat. Sie ist bewusst verspielt und das macht mir Spaß. Ich bin bereit für das Gespräch.

Sandra Rosas (S.R.): Wenn Du zurückblickst in Deinem Leben, wer war Dein wichtigstes Vorbild?

Kim Dotty Hachmann (K.D.H.): Oh, wow! Da stellt sich die Frage, wo man anfängt. Es gab viele. Aber im Nachhinein kommen mir die Tränen. Ich würde sagen, meine Eltern. Insofern, dass sie mich immer unterstützt und sie mir nie etwas verwehrt haben. Ich habe nicht sofort gesagt, ich will Malerin werden, ich will Kunst studieren. Stattdessen habe ich eine Ausbildung gemacht in einer Werbungagentur und konnte das so reinschlängeln, dass es sich für meine Eltern gut anfühlte. Aber sie waren immer für mich da.
Wenn Du nach Vorbildern fragst: In der Pubertät war ich sehr rebellisch. Und ich habe meinen Eltern manchmal vorgeworfen, ich hätte lieber Künstler als Eltern. Ich habe Hermann Hesse geliebt und dessen Geschichten gelesen. Dann habe ich noch seinen Lebenslauf gelesen. Er beschreibt dort, wie sich Leute aus aller Welt in seinem Elternhaus getroffen haben, und es viele komische Objekte aus aller Welt gab. Das habe ich mir immer für mich gewünscht. Ich habe mich dann für Künstlerinnenbiografien interessiert und Frida Kahlo gelesen, auch Paula Modersohn-Becker. Eigentlich habe ich mich schon früh für das Weibliche interessiert.

S.R: Was für ein Mädchen warst Du? Erzähl…

K.D.H.: Das ist interessant. Spannend. Ich glaube, in letzter Zeit erinnere ich mich viel mehr an meine Kindheit und was ich gerne mochte, und was ich damals nicht so ausleben konnte und was ich jetzt auslebe. Ich habe mir dadurch auch dieses Kindliche und Naive bewahrt, und wenn ich jetzt in Videos spiele, dann bin ich Schauspielerin. Das kann ich jetzt richtig gut, in Rollen schlüpfen und mich reindenken. Aber als Kind fiel mir das schwer. Ich schwankte extrem zwischen extrovertiert und schüchtern, zurückhaltend.
In der Schule hatte ich mal „Darstellendes Spiel“ und stand nur mit Lachkrämpfen auf der Bühne. Für die Kunst interessierte ich mich erst in der Pubertät, vorher war ich, versunken in Sport aller Richtungen: Reiten, Voltigieren, Hamburger Meisterin im Tennis, Ski, Leistungsturnen. Später auch noch Hockey. In der Pubertät kam ein Bruch. Ich habe dann zum ersten Mal aus mir selbst geschöpft und mich mit der Frage beschäftigt, was interessiert mich. Und dann kam die Kunst.

S.R: Welches Ereignis hat Dich am meisten geprägt oder Dir Mut gemacht?

K.D.H.: Ein einschneidendes Erlebnis, wie ein Umzug oder in einem anderen Land zu leben, das hatte ich nicht. Da war immer dieses Konstante bei meinen Eltern. Was ich immer geliebt habe, war Freiheit und dieses – allein entscheiden zu dürfen! Und das ist mir mein inneres Motto geworden: Wenn ich etwas nicht machen will oder es nicht zu mir passt, dann kann ich das nicht machen, dann verschlafe ich den Wecker.
Ein beeindruckendes Ereignis war in einem Atelier in einer Fabriketage … . Ich weiß bis heute, wie das Licht in diese  Kastenfenster reinfloss. Ich erinnere mich an die Stimmung, mystisch, wie es gerochen hat. Linoldrucke. Dieses Gespräch, das war die erste Berührung. Das war eine andere Welt, und sie war faszinierend. Ich war sechzehn.

S.R: Wo bist Du gerade? Ist das der Weg, den Du als Künstlerin ausgewählt hast?

K.D.H.: Jetzt gerade fühle ich mich richtig angekommen in meinem Leben. Ich bin in diesem Jahr fünfzig geworden. Vor Kurzem hat mein Sohn sein Schulpraktikum bei mir gemacht, und die erste Aufgabe, die ich ihm gegeben habe, war: Such bitte ein anderes Wort für Arbeit. Und er hat „Urlaub“ gesagt. Dann haben wir alles mit dem Wort „Urlaub“ ersetzt.

Eigentlich war ich immer am Arbeiten. Die Kinder haben geschlafen, und ich war am Arbeiten. Das ist so bis heute. Niemals habe ich mir erlaubt, einen Ausflug zu machen, außer mit den Kindern. Aber für mich? Und jetzt mache ich das seit einer Weile. Ich gönne mir einen Tag mit einer Fahrradtour mit einer Freundin. Das ist alles Leben! Leben ist das richtige Wort und viel stimmiger für mich als Urlaub. Und das zu drehen, das hat mir sehr viel Druck genommen. „Man muss vorankommen, man muss Karriere machen, sichtbar bleiben, arbeiten…“ Und mit dem Leben? Das Arbeiten gehört zum Leben. Das ist nicht getrennt. Das ist andersrum zu chiffrieren. Statt Arbeiten, zu sagen, dass man lebt. Arbeit ist etwas ganz Tolles für mich. Ich mag liebend gerne arbeiten. Mit der Arbeit, mit der ich glücklich bin.

S.R: Hat man als Künstlerin mehr Schwierigkeiten, das Privatleben von der Arbeit zu trennen? Nicht die ganze Zeit „produktiv“ zu sein?

K.D.H.: Ich glaube, dass Künstler*innen ganz allgemein produktiv sind und diesen Anspruch haben. Jeder Mensch, der professionell einen künstlerischen Weg einschlägt, hat sein Thema, hat seinen Ausdruck, will etwas in die Welt bringen – hat auch hohe Ansprüche an sich selbst und baut damit wahrscheinlich viel Druck auf. Wir Künstlerinnen sind rund um die Uhr mit der Kunst beschäftigt und in der Kunst zu Hause und gerade KünstlerinnenMütter schaffen diesen Spagat zwischen Familie und künstlerischem Schaffen mit Bravour… da sollte man endlich mal die typischen alten  Klischeebilder vom einsamen Künstlergenie, der seine Ruhe braucht und auch mal ein Glas Schnaps oder mehr um auf Ideen zu kommen, einmotten.  Für mich sind die Kinder hoch inspirierend. Ich habe sie beobachtet und dann häufig meine Ideen gefunden. Natürlich gibt es auch den Alltag und all die Sachen drumherum: einkaufen, kochen… Und natürlich ist immer noch die meiste Arbeit bei den Müttern gelagert.

S.R: Wenn Du ein Handbuch für junge Künstlerinnen schreiben würdest, worauf würdest Du als erstes hinweisen?

K.D.H.: (Kim lacht!) Darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht, aber wenn ich mich als Beispiel nehme, würde ich raten kalkulierter und zielstrebiger zu sein. Also sowas wie Listen machen, wer wo der Kurator und Ansprechpartner ist und Pipapo…
In diesem Fall würde ich Künstlerinnen und Künstlern raten, viel zielstrebiger zu sein. Andererseits ist es auch schwierig, weil es für mich wichtig war, weiterzuarbeiten. Gerade mit der Mutterschaft! Und davon will ich Künstlerinnen und Künstlern nicht abraten. Sondern im Gegenteil. Und dann die Aufgaben auch an den Vater verteilen.
Alles, was ich gemacht habe, war aus Passion und tiefster Leidenschaft! Immer weiterzumachen. Tatsächlich gibt es in einem meiner Videos nur ein Wort und das heißt: weitermachen!
Gib nicht auf! Auch nicht nach Misserfolgen. In einer Phase dachte ich auch, ich müsse mehr Geld verdienen, und ich habe dann mehr Brotjobs gemacht, aber es wurde zu einer Zerreißprobe, die die Kunst gewonnen hat! Das hat mir aber auch bestätigt, wie sehr mein Herz für die Kunst brennt!

Wichtig ist auch der Reichtum, den man abseits vom Geld gewinnt: All die Erlebnisse weltweit. Dieses Video zu drehen, die Erfahrung ist in mir, das kann mir keiner nehmen.

S.R: In Deinen Video-Installationen kann man Elemente sehen, wie: die Verwunderung, Intervention in öffentlichen Räumen, die Geburt als Teil der Natur. Was ist Deine Absicht, wenn Du an einem Ort intervenierst?

K.D.H.: Ich würde bei den Interventionen erst einmal einen großen Unterschied sehen. Es gibt Arbeiten, mit denen ich in den öffentlichen Raum gehe und dort interveniere. Es ist aber eine andere Arbeit, wenn ich ein Video am Schreibtisch als Dreh-Skript ausarbeite. In Taipei, das war eine Live-Performance, und da sind immer die Ideen die Ausgangspunkte. Ich frage: Was braucht es hier?

Ich ging über den Markt. Es gibt viele Nachtmärkte in China und Asien. Man geht abends auf den Markt. Ich war fasziniert: In irgendwelchen Tontöpfen hing der Teig an der Wand, dann bemerkte ich, dass eine Reihe von Menschen mich beobachtet hatten, weil ich so groß war. Ich sagte „Hallo“ und merkte, dass die Leute mich krass beobachtet haben. Ich dachte mir: „Okay, alle gucken mich an, dann musst du was machen.“ Und so kam es zum Taipei-Projekt: Ich filmte mich auf dem Markt aus verschieden Perspektiven.

Ich empfehle immer, meine Videos mehrmals zu sehen. Sie sind eher kurze Filme, aber sie haben sehr viele Schichten und Ebenen. Viele Details, die es zu entdecken gibt. Dann kommen auch diese Zufälle zustande: In dem Video kam ein Mann mit dem Maßband… das war natürlich nicht abgesprochen, aber es war perfekt für die Schlussszene. Er hat mich abgemessen.

S.R: Familie und Arbeit. Bei Dir sind sie als Protagonisten dabei? Was möchtest Du vermitteln?

K.D.H.: Für mich war die Schwangerschaft wie eine Initiation, ich musste da nichts überlegen, ich habe mich und meine Familie seitdem einfach vor die Kamera gestellt, um meine Ideen umzusetzen. Das war die Konsequenz meiner Schwangerschaft, ich wollte das Thema Mutterschaft und Familie bearbeiten.

Noch etwas Wichtiges für mich: Ich habe von Anfang an meine Familienglieder integriert. Dabei war es mir immer wichtig, Rücksicht zu nehmen. Ich wollte meine Kinder integrieren, aber nicht ausnutzen. Das Wichtigste für mich war: Diesen Schalter umzudrehen! Kinder stören nicht, Kinder inspirieren. Und bringen etwas Neues und Tolles mit rein!

S.R: Woran arbeitest Du zurzeit?

K.D.H.: Ich arbeite gerade parallel an zwei Arbeiten. Von der einen möchte ich noch nicht sprechen,  die kann man dann zur Ausstellung Next Level Shit in der Inselgalerie bewundern. Die andere Arbeit passt gerade super zu dem Interview. Ich beobachte, was interessiert die Kinder gerade? Mein jüngerer Sohn geht zurzeit ganz viel ins Gym, und er hat einen wunderbaren Körper. Die Muskeln verändern sich und er zeigt es manchmal relativ stolz. Und da gibt es wieder ein sensibles Thema: die Pubertät bei den heranwachsenden jungen Männern und Frauen. Ihre Körper, ihre Weltsicht und ihre innere Sicht, die zarten Seelen, verändern sich so wahnsinnig schnell, und das finde ich interessant. Das war mein Ansatzpunkt!

Daher habe ich ein klassisches Halbportrait von meinem Sohn an einer Reckstange mit freiem Oberkörper in Vorder- und Rückenansicht fotografiert. Dazu gibt es dann eine Augmented Reality, so dass man ihn durch ein Handy dann in Bewegung sieht, wie er nonstop Klimmzüge macht.

Vielen lieben Dank für das Gespräch