INTERVIEWS
Gespräche mit Dir

XANTHIPPE e.V. – welche Frauen/Künstlerinnen haben sich zu dieser Fraueninitiative zusammengefunden und warum wurden sie Mitglieder? Beweggründe und die Motivation zur künstlerischen Arbeit, gegen Widerstände oder besseres Wissen über die Position gerade der Künstlerin in unserer Gesellschaft, diesen Fragen nähert sich unsere Kollegin, die Autorin SANDRA ROSAS, in ihren doch sehr persönlichen Interviews. Es werden nur einige wenige XANTHIPPEN angesprochen werden, doch einen Einblick in die Arbeits- und Gedankenwelt dieser Künstlerinnen werden Sie beim Lesen sicher bekommen.

SANDRA ROSAS

MIRIAM SMIDT

SANDRA ROSAS
geb. 1977 in Mexiko
Studium Lateinamerikanische Literatur an der Universidad Autónoma del Estado de México
Master im Fach Interdisziplinäre Lateinamerikastudien an der Freien Universität Berlin.
Seit 2004 lebt und arbeitet sie in Berlin.
2019 veröffentlichte sie ihren ersten zweisprachigen Gedichtband „Pupilas ciegas / Blinde Pupillen“ (KLAK Verlag).
2021 erhielt sie ein Stipendium im Künstlerdorf Schöppingen, Münster.
Derzeit ist sie Doktorandin an der Ruprechts- Karls- Universität Heidelberg und ist Stipendiatin des Berliner Senats in der Kategorie Nicht- deutschsprachige Literatur

MIRIAM SMIDT
geb. 1983 in Leer Ostfriesland.
2002-2009 Studium Politologie und Germanistik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
seit 2009  lebt und arbeitet in Berlin
2010 – 2016 freiberufliche Sozialwissenschaftlerin und Autorin (für BMFSFJ, BpB u.a.)
2011 – 2017 Selbststudium der Malerei
seit 2017 hauptberuflich freischaffende Künstlerin nach beruflicher Neuorientierung infolge einer Hirntumorerkrankung – Malerei, Skulptur, Installation, digitale Techniken, Installation
seit 2018 freiberufliche Workshopleitungen im Malsalon, Berlin – Aquarellmalerei, Abstrakter Expressionismus, Actionpainting
2020 Gründung Artwerk Berlin: Ausstellungsraum mit Atelier und Workshop-Angebot in ehem. Georg Heinrichs Kapelle, Berlin-Wedding
Arbeitsstipendium Kulturprojekte Berlin, Berlin
2023 1st International Painting Symposium Kalamaria, Thessaloniki, Griechenland

Als Kind wollte sie Tina Turner werden. Danach hat sie studiert und viel Vernünftiges ausprobiert bis eine Tumorerkrankung ihr Leben ernsthaft erschüttert hat. Heutzutage ist sie eine selbstbewusste, politisch wache und verspielte Künstlerin. Was ist ihr Geheimnis?

Sandra Rosas: Wie und wann entsteht die Kunst in Deinem Leben?

Miriam Smidt: Meinst Du das biographisch? Wenn Du biographisch zurück blicken willst…Wahrscheinlich habe ich im Jugendalter zur Kunst gefunden. Ich habe gemerkt, dass ich Künstlerin bin oder dass ich künstlerisch arbeiten will. Aus Vernunftgründen habe ich später Politologie und Germanistik studiert…Ich habe alles gemacht um nicht Künstlerin zu sein.
Es war immer dieses Gefühl da, ich muss etwas anderes finden, bis ich tatsächlich entschieden habe, ich gehe doch zurück zur Kunst. Damals wusste ich sicherlich, dass das Leben als Künstlerin kein einfaches Leben ist!

S.R: Du hattest eine Gehirntumorerkrankung. Was ist nach Deiner Ansicht das wichtigste Kriterium um sich neu zu orientieren?

M.S: Ich glaube, dass ich gemerkt habe, dass ich eigentlich nicht viel zu verlieren habe und wir das meiste verlieren, wenn wir verpassen, wofür wir eigentlich da sind. Ich finde, ich habe es immer als sehr quälend wahrgenommen, keine Kunst zu machen. Die Krankheit war dann eigentlich nur wie ein Gipfel. Es ging mir vorher schon immer schlecht. Ich war vorher sehr krank aber ich war auch sehr traurig. Ich glaube, wenn da was in uns ist, was wir ausdrücken wollen und wir können das nicht ausdrücken, dann kann es sehr schwierig sein, damit zu leben. Wenn Du etwas hast, was in Dir brennt und aus Dir raus will und Du versuchst immer das zu unterdrücken, schränkt es Dich in deinem Menschlichen Dasein ein.
Damals dachte ich, ich habe nur noch zwei Jahre zu leben. Wenn Du einen Gehirntumor bekommst, denkst Du nicht, ah, das wird schon gutgehen. Ich war jedenfalls nicht so. Ich dachte das Gegenteil… Oh, scheiße! Die Prognosen waren mittelmäßig. Es war so, jetzt hast du zwei Jahre, vielleicht fünf… das ist jetzt schon acht Jahre her. Und ich habe noch nicht lange genug.

S.R: Das heißt, nach diesem Ereignis war Dir klar, was für einen Weg Du gehen möchtest?

M.S: Früher war mir klar, was für mich das Wichtigste ist. Aber ich hatte nicht den Mut. Bis ich bemerkte: Okay, ich habe jetzt eine zweite Chance. Das war wie ein neuer Anfang, wie eine reset-Taste.
Es war tatsächlich eine schwere OP. Ich musste vieles neu lernen. Dafür hatte ich ein zweites Leben geschenkt bekommen.

S.R: Wie betrachtest Du den Tod? Hat sich etwas verändert?

M.S: Ich stehe mehr im Leben. Würde ich sagen…  Der Tod ist etwas Unausweichliches. Die schlechte Nachricht ist, wir werden alle sterben. Wir versuchen das zu leugnen. Man könnte tatsächlich rausgehen auf die Straße und die ganze Zeit brüllen, wir werden alle sterben! Und das ist, was wir verdrängen, was wir einfach in unserem Leben nicht wahrhaben wollen. Doch das gehört einfach dazu. Es ist nicht vermeidbar und das ist die Voraussetzung für unser Leben.
Ich denke, es hat mich so verändert, dass ich tatsächlich bewusster lebe. Ich bin seit acht Jahren gesund und trotzdem immer wieder weggerutscht. Das Leben wird immer ein bisschen intensiver, wenn du weißt, dass es endlich ist… Ich lebe mehr in der Gegenwart. Ich finde es fast ironisch, dass ich auf einem Friedhof gelandet bin. Man sagt, du landest auf dem Friedhof. Kann man auch sagen: Ich habe neues Leben mitgebracht? Die Kapelle stand leer. Sie war verfallen. Es ging ihr unglaublich schlecht. Ich habe Leben in die Bude gebracht. Meine ganzen Nachbarn sind tot (sie lacht). Es ist eine verrückte Mixtur. Du bringst hier leben…und meine Arbeit auch natürlich. Es ist eine gewisse Lebendigkeit.

S.R: Gibt es einen Feministischen Blickwinkel in Deinen Schritten als Künstlerin?

M.S: Ja, definitiv. Als Frau ist es immer schwierig, auch als Frau in der Kunst und als Autodidaktin? Ich habe auch Nachwirkungen nach der langwierigen OP. Es ist äußerst hart. Ich meine, wie willst du überhaupt Boden gewinnen mit diesen Attributen? In einer von Männern dominierten Welt? Da geht es darum, schön zu sein, fit zu sein, darum, zu performen. Ich hatte schlechte Voraussetzungen.
Ich habe Politologie studiert. Da komme ich nie raus. Du kannst Miriam aus der Politik herausnehmen. Aber du kannst nicht das politische aus mir entfernen. Das wird nie passieren. Ich hatte schon als kleines Kind einen unheimlich ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. „Das ist unfair!“  War einer meiner Standardsätze. Ich habe mich immer beschwert. Und das tue ich bis heute. Ich bin nicht zufrieden, so wie die Welt ist. Es macht mich wütend, traurig, hilflos… Und das speziell auf die Kunst bezogen… Es gibt keine Position, die unpolitisch ist. Wenn du Künstler bist, dann steigst Du ein Stück weit aus. Nicht nur Frauen, sondern alle Kunstschaffende. Du verabschiedest dich mit dieser Entscheidung ein Stück weit aus dem normalen System. Du machst nicht was es von dir will. Und meine Kunst wird als sehr weiblich empfunden, weil sie farbenfroh ist, weil sie vielleicht blumig ist. Und ich denke, das ist auch gut so. Ich sehe keinen Grund, das zu leugnen.

S.R: Stört Dich der Stempel “Weibliche Kunst“ nicht?

M.S: Doch! Mich stört diese Konnotation, dass das weibliche Kunst ist! Das finde ich Müll. Was ist weibliche Kunst?  Es ist natürlich kein positives Attribut, vor allem wenn Männer das sagen, weil die davon ausgehen, dass „Weibliche Kunst“ weniger wert ist, als männliche Kunst. Sie wird als weniger relevant betrachtet, weniger gelobt… wir „haben keine globalen Themen, wir machen nur emotionales Zeug und so weiter“. Das ist was die Kunstszene versucht daraus zu lesen. Im Grunde genommen ist es eine Machterhaltungsstrategie. Nichts anderes. Man wertet das andere ab. Aber das heißt für mich trotzdem nicht, dass ich mich zurücknehmen muss und, dass ich weniger Pink benutzen darf. Dann benutze ich mehr Pink, weil ich denke, so ist es recht!

S.R: An was arbeitest Du zurzeit?

M.S: Die „Perspektivwechsel“ in der Bar in der Inselgalerie sind der Anfang einer neuen Serie, die mit diesen Themen spielt. Zudem arbeite ich im Moment mit Materialien, die die Farbe wechseln, Lacken aus dem Auto-Tuning Bereich auf der einen Seite und Nagellacken auf der anderen Seite. Die können, je nach Perspektive, die Farbe ändern.

S.R: Was ist Inspiration für Dich?

M.S: Das Material zu untersuchen und zu erforschen und zu versuchen die Materialität zu erfassen. Und was ich in welche Richtung manipulieren kann, und dann diesen Erschaffungsprozess, wie so eine Art Erkenntnisprozess, das was ich erfahre und über mich erfahre und wie ich mit der Welt umgehe, zu erleben. Wo sind die Grenzen? z.B. diese Mobiles: sie sind hauchzart. Sie gehen kaputt. Fraglos sind sie nicht für die Ewigkeit gemacht. Wie auch, wie kann so etwas in dem Raum wachsen? Wie fällt es auch wieder zusammen?

S.R: Klarer Verstand oder tiefe Intuition bei kreativen Prozessen?

M.S: Eine “combination of the two”. Es ist immer folgendermaßen… Es hat etwas Performatives, wenn du anfängst und dich einfach diesen Materialien zuwendest. Aber es ist ja doch eine intellektuelle Komponente dabei. Es ist nicht losgelöst vom Intellektuellen, von der Intention, sich ausdrücken und etwas erfahren zu wollen. Also man könnte vielleicht sagen: Es geht um das Prozesshafte. Da ist vielleicht die Intuition mit drinnen. Das Prozesshafte explorieren. Das Erforschen, das gleichzeitig erkenntnistheoretisch ist. Der Schaffensprozess ist ein Erkenntnisprozess oder so, ist das verständlich?

S.R: Der Klassiker: Wen bewunderst Du in Deinem Leben?  

M.S: Ich glaube, es ist schwierig, heutzutage eine Leitfigur zu haben. Es gibt ganz viele! Es gibt eine ganz tolle Künstlerin, Pipilotti Ritz. Ich mache meine Kunst unabhängig von diesen Einflüssen. Mit dem Material und mir und mit meinem Forscherdrang. Tatsächlich liebe ich Daniel Richter. Das ist ein Mann, um mal einen Mann zu nennen. Auch aus der ehemaligen Punkszene. Eine Autorin kann ich Dir auch nennen. Ich liebe Terézia Moira. Alle Tage ist ein super tolles Buch, hochkomplex. Wenn ich Moira lese, habe ich danach ganz lange ihre Stimme in meinem Kopf.

Vielen lieben Dank für das Gespräch