7.3.2024, Donnerstag 19 Uhr
GESPRÄCH:
SILBERBLICK – MAPPEN 1 + 3
Hildtrud Ebert, Tina Bara u. a. Zu den 1989er Mappen Silberblick 1 + 3

Als es wieder einmal darum ging, sich ein Bild zu machen, schrieb die Berliner Malerin Bärbel Bohley weiß auf schwarzem Papier : „Manchmal ist die Kunst abwesend“. Damit benannte sie nicht nur ihre eigene momentane Situation als Sprecherin oppositioneller Gruppen in der DDR. Gemeint sind jene aufregenden Tage im November 1989, an denen sich im geteilten Deutschland Geschichte zu überschlagen scheint : Nach achtundzwanzig Jahren werden die Grenzen geöffnet, Mauern fallen. Die Welt sieht wieder einmal hin. Im ersten Freudentaumel strömen Menschen aufeinander zu, umarmen sich. Aber was dann ? Angste und Sorgen werden laut – auf beiden Seiten.

Nachdem nichts mehr ging, scheint über Nacht alles zu gehen. Bekanntlich trügt der Schein. Ganze Weltbilder zerbrechen. Sockel stürzen. Ab hier splittern die Augen. Gute alte Freundschaften gehen auseinander, neue finden sich in anderen geistigen Haltungen. Manche wechseln noch schnell die Fronten und das Hemd – die Zeit der Wendehälse aber auch der klaren Gesichter.

Um Bildnisse und Gesichter geht es in den drei Mappen mit dem Titel „Silberblick“.Ursprüngliche Idee war es, zwei sich lange Zeit bekämpfende Medien miteinander zu konfrontieren : Druckgrafik und Fotografie.

Einst hatte die Fotografie das Bildnis des Menschen fast verdrängt aus Malerei und Grafik. Inzwischen hat jedes Medium sein Eigenes gefunden.

Der nächste Gedanke war, (Bildnis-) Paare sich gegenseitig porträtieren zu lassen und herauszufinden, ob da zwischen Frauen anderes im Bild festgehalten wird als zwischen Männern und zwischen Männern und Frauen wieder anderes.

In den drei Grafikmappen sollten unterschiedliche technische Verfahrensweisen nach ihrer sinnlichen Wirkung, handwerklichen Eigenheit befragt werden. Herauszufinden war, wie sich besondere Beziehungen der ausgewählten Partner (einige haben sich selbst gesucht und gefunden) im Bildnis darstellen und erkennen lassen. Deutlich wird ihr zeitbestimmender Charakter, die Art der Intimität oder Repräsentation, das Verhältnis zur Landschaft und Umwelt, seelische Stimmungen, die Atmosphäre im Raum.

Am Ausgang des 20. Jahrhunderts scheinen die Gesichtszüge zunehmend zu verwischen. Die Haut wird anders zu Markte getragen – schichtweise von Schminke verpappt – verpuppt. Starre macht sich breit.

Neu im Sprachgebrauch: der Begriff „Betonköpfe“. Computer – Bilder fluten. Der eigene Blick verliert sich im Chaos kopfstehender Realitäten.

Da bekommt das Wort Emanzipation andere Bedeutung. Es zielt auf einen Neuansatz des Menschseins in seiner ethischen, aber auch in seiner ästhetischen und sozialen Dimension.

Ein Silberblick ist ein Blick, der einerseits vorbeizusehen scheint, andererseits überraschend nah und genau sein kann. Auskunft geben die Blätter über mögliche Beziehungen zwischen Menschen, in diesem Falle zwischen Künstler/innen und Fotograf /innen.

„Wenn mir das Eigene suspekt wird, sehne ich mich nach dem Anderen und schrecke gleichzeitig vor ihm zurück“, so beschreibt Franz Fühmann einen Zustand, aus dem die Spannung vieler Bildnisse zu resultieren scheint. Der Reiz der Dialektik zwischen Eigenem und Fremdem – innen und außen – verleiht den Bildern ihre Besonderheit. Der Schatten und seine Umrisse, die Ahnung des (anderen) Wesens bestimmt den konzentrierten Ausdruck.

Es ist wie auf dem Weg zum Briefkasten. Man ersehnt eine Nachricht. Manchmal ist es viel mehr als eine Nachricht – es ist Antwort, Bestätigung, Enthüllung oder auch eine neue Frage, deren Antwort schon lange ausstand.

Jetzt beginnt die Suche, Funken sprühen, Distanz wächst. Die physiognomische Sprache eines Gesichts ist es vor allem , die in den Bildnissen tief ausgelotet wird.

Während das Porträt von Anfang an zu den bestimmenden Themen der Fotografie gehörte, schwanken seine Art und Bedeutung innerhalb von Malerei und Grafik durch die Jahrhunderte hindurch – bis schließlich mit Erfindung der Fortografie das Porträt eine zeitlang zurückgedrängt, dann aber bestimmten Intentionen um so stärker wieder hervortritt.

Bei geplantem Porträt – Gegenporträt, wie es für die Mappen vorgesehen war, verstärken sich die innovativen Positionen, es werden Gegensätze bewußter ins Verhältnis gesetzt und mit dem eigenen Anliegen verglichen. Jeder hat sein eigenes Bild von einem anderen Menschen. Mitunter sind die Sichten extrem verschieden. Neue Erfahrungen mischen sich mit bekannten, uralte Wünsche treten in Beziehung zu einer fremden Wirklichkeit. So sind die Bildnisse oft auch Selbstbildnisse – aufgefangen im Spiegel des anderen.

Oder sie sind heiter-sarkastisch inszenierte Stücke für zwei Personen. Beim Rollenwechsel zwischen Spiel und Ernst werden die Narrenkappen vertauscht. Gleich darauf die Zeitansage von der (n)immergrünen Realität. Mancheiner besinnt sich auf das klassiche Porträt, das als psychologische Studie noch immer Nähe und Individualität eines Menschen einzigartig erfaßt. Dagegengesetzt wird die Kunstfigur, dem Konzept untergeordnet, entwickelt aus der schwarzen Ruhe himmelsteigender Visionen. Trotzdem blieben die Nächte taub, Träume unter Glas gepreßt : (V)erkenne wer da will.

Fazit – in den Bildnissen zeigen sich nicht betont geschlechtliche Unterschiede. Den Machern ging es um den Spaß, um die Begegnung mit einem anderen Menschen, seine physiognomischen Besonderheiten, seine individuelle Austrahlung, Geheimnisse, Berührungen. Es ging vor allem darum, sich aufeinander einzulassen. Ein Freund, das Glas Wein in der Hand, sagt : „Beim Anstoßen sollte man sich in die Augen sehen.“ Seitdem achte ich darauf und erfahre, daß kaum jemand dem anderen in die Augen sieht.

„Ich habe keine Zeit“ – einer der typischen Sätze dieser Un-Zeit, die nun in Europa aufzubrechen scheint, um wieder „die gute alte Zeit“ oder die neue Zeit oder die aufregende Zeit … zu werden. Wie auch immer. Ich habe keine Zeit, heißt doch richtiger : Ich habe dafür keine Zeit. Ich brauche meine Zeit für etwas anderes.

Die Zeit der Begegnungen beginnt vielleicht gerade wieder – nicht nur weil man sich umsieht, sich ein Bild macht, den Silberblick vortäuscht, auch weil der Wunsch zu sein die Illusion des Scheins verdrängt.

Gabriele Muschter

Berlin, im November 1989

Tina Bara, lebt in Berlin, 1962 geboren in Klein Machnow, seit 1986 Fernstudium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, seit 1986 freischaffend tätig
Ellen Fuhr, lebt in Berlin, 1958 geboren in Berlin, 1978 – 1983 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, seit 1986 Meisterschülerin an der Akademie der Künste der DDR
Angela Hampel, lebt in Dresden, 1956 geboren in Räckelwitz, 1977- 1982 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
Petra Kasten, lebt in Dresden, 1955 geboren in Dresden, 1974 – 1976 Abendstudium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, 1976 – 1982 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
Nuria Quevedo, lebt in Berlin, 1938 geboren in Barcelona, 1959 – 1963 Studium an der Kunsthochschule Berlin, 1969 – 1971 Meisterschülerin an der Akademie der Künste der DDR
Evelyn Richter, lebt in Leipzig, 1930 geboren in Bautzen, 1948 – 1952 Lehre als Fotograf, 1953- 1956 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, seit 1980 Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Jana Richter, lebt in Ottendorf-Okrilla und Potsdam, 1968 geboren in Dresden, Autodidaktin
Christine Schlegel, lebt in Berlin – West, 1950 geboren in Crossen, 1973 – 1978 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fachrichtung Malerei / Grafik
Gundula Schulze, lebt in Berlin, 1954 geboren in Erfurt, 1975 beginnt als Autodidaktin zu fotografieren, 1979 – 1984 Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Maria Sewcz, lebt in Berlin, 1960 geboren in Schwerin, 1982 – 1987 Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Christine Wahl, lebt in Dresden, 1935 geboren in Glashütte (Erzgebirge), 1953 – 1958 Hochschule für Bildende Künste Dresden
Steffi Wend, lebt in Radebeul bei Dresden, 1954 geboren in Karl-Marx-Stadt, Lehre als Fotografin – Sonderklasse Technische Universität Dresden
Karin Wieckhorst, lebt in Leipzig, 1942 geboren in Holzhausen/Sachsen, 1969 – 1973 Fernstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Tanja Zimmermann, lebt in Dresden, 1960 geboren in Pirna, 1981 – 1987 Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Gerhard Kettner

Tina Bara, lebt in Berlin, 1962 geboren in Klein Machnow, seit 1986 Fernstudium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, seit 1986 freischaffend tätig
Hartmut Bell, lebt in Berlin, 1959 geboren in Berlin, Autodidakt, freischaffend seit 1986
Bärbel Bohley, lebt in Berlin, 1945 geboren in Berlin, 1969 – 1974 Studium an der Kunsthochschule Berlin, Fachrichtung Malerei, seit 1974 freischaffend tätig
Ellen Fuhr, lebt in Berlin, 1958 geboren in Berlin, 1978 – 1983 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, seit 1986 Meisterschülerin an der Akademie der Künste der DDR
Samia Hussein, lebt in Berlin, 1966 geboren in Berlin, seit 1987 Fernstudium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, seit 1986 als Fotografin freischaffend tätig
Florian Merkel, lebt in Karl-Marx-Stadt, 1961 geboren in Karl-Marx-Stadt, 1981 – 1986 Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Ramona Naum-Titsel, lebt in Karl-Marx-Stadt, 1950 geboren in Schilda, Autodidaktin, seit 1989 freischaffend tätig
Manfred Paul, lebt in Berlin, 1942 geboren in Schraplau, 1961-1963 Berufsausbildung als Fotolaborant, 1965-1968 Fernstudium Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 1972 – 1974 Zusatzstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 1974-1988 Lehrer, später Dozent an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin, Grundlagenstudium Fotografie
Jana Richter, lebt in Ottendorf-Okrilla und Potsdam, 1968 in Dresden geboren, Autodidaktin
Gerd Sonntag, lebt in Berlin, 1954 geboren in Weimar, 1970 – 1972 Lehre als Chemigraf in Jena, 1973- 1974 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, 1974 – 1975 Lehr als Steinmetz in Jena, 1989 – 1982 Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR bei Theo Balden
Holger Stark, lebt in Dresden, 1960 geboren in Rostock, ab 1984 Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Albert Holbeck
Erika Stürmer-Alex, lebt in Lietzen bei Frankfurt/O., 1938 geboren in Woltersdorf, 1958 – 1963 Studium an der Kunsthochschule Berlin
Claus Weidensdorfer, lebt in Radebeul bei Dresden, 1931 geboren in Coswig/Kreis Meißen, 1951-1956 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden

Einlass: 18:30 Uhr
Eintritt: 5 Euro/erm. 3 Euro